Verloren

von

Susann

Es gibt Momente im Leben, da muss eine Entscheidung getroffen werden, die sehr schwerfällt. Vor drei Tagen habe ich buchstäblich über Nacht die Entscheidung getroffen, den Ort zu verlassen den ich in mein Herz geschlossen habe und an dem ich mich so unglaublich wohl fühle.

Warum?

Der Familienvater der Familie und ich haben uns ineinander verliebt. Was sich für mich zu Anfang wie eine kleine Affäre anfühlte, wuchs zu etwas größerem heran. Etwas, dass wir beide so vorher noch nicht erlebt haben. Eine unglaublich intensive Zeit. Wir haben nahezu jede Minute miteinander verbracht. Zwei freiheitsliebende Menschen, die leidenschaftlich gern mit Tieren in der Natur unterwegs sind. Zwei hochemotionale Menschen, die das nach außen nicht gern zeigen, sich gegenseitig aber inzwischen so vertrauen, dass sie die Gefühle gemeinsam durchleben. Zwei gesellschaftlich kulturell unterschiedliche Menschen, so dass so manche Situation zur Zerreißprobe wurde. Der Wille dieser beiden Menschen war so stark, dass wir es gemeistert haben.

Das alles passierte immer im Geheimen. Ich mag seine Frau sehr gerne und sie hat sich mir von Anfang an anvertraut und mir ihre Probleme in der Ehe erzählt. Er ist nur am arbeiten, sei kaum zuhause, kaum für sie da. Sie ist verzweifelt und versteht ihren Mann einfach nicht mehr.

Auch er redete mit mir über seine Ehe. Wie unterschiedlich sie doch seien. Er sei müde und kann das nicht leisten was sie verlangt. Das sei er einfach nicht.

Diese Ehe war schon vor uns nicht mehr glücklich. Aber ich stand jetzt dazwischen. Ich sah mit an wie nach außen hin die heile Familie gespielt wurde und im Verborgenen nur Trauer, Frust, Angst und Verzweiflung stattfand.

Einer meiner Werte, nach dem ich lebe und handle ist die Ehrlichkeit. Und eins war für mich klar. Was hier für ein Theater gespielt wird ist alles andere als ehrlich. Er ist nicht ehrlich zu sich selbst, sie nicht zu ihr und die beiden nicht zueinander. Dazu habe ich mich immer in einer Wartehaltung befunden. Wann kommt die nächste Gelegenheit, in der wir zusammen sein können? Wann die nächste Berührung? Wann kann ich seine Nähe spüren?

Wenn wir zusammen waren, dann ganz und gar. Er sagte zu mir, dass er eigentlich immer gern allein ist. Allein mit seinen Tieren in den Bergen. Jetzt will er das alles mit mir zusammen erleben. Er kann es sich nicht erklären. Es ist einfach so. Wir sprachen über die Zukunft. Haben wir eine Zukunft und wie würde die aussehen? 

Und dann kam immer wieder die Situation der “heilen Welt” mit seiner Frau. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl der Eifersucht gespürt. Jede Situation in der ich die beiden sah, war für mich innerlich eine Qual. Ich habe ihm das gesagt, wie schwer mir das fällt. Wir reden über alles. Er tat alles dafür, dass es mir gut geht. Nur diese Sache hat er nicht geschafft. Er hat das Theater weiter mitgespielt…und ich auch.

Vor drei Tagen war wieder so eine Situation der “heilen Welt” und ich bin innerlich fast in meinen Gefühlen ertrunken. Ich habe versucht mich der Situation zu entziehen und bin in den Bus gegangen. Ich werde heute hier schlafen. Nur war an Schlaf nicht zu denken. Gegen 2 Uhr rief mich mein bester Freund Christian an. Auch er konnte nicht schlafen. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte und zum Schluss sagte er nur: “ Susann, das bist nicht du.”

Nach unserem Gespräch saß ich eine Stunde da und dachte über diesen Satz nach. Dachte an den morgigen Tag, an dem der nächste Akt des Theaterstücks aufgeführt werden sollte. Und dann war die Erkenntnis da: Ich hatte mich selbst verloren. In dieser ganzen, so intensiven und emotionalen Geschichte zwischen zwei Menschen, die sich nicht trauen ihre eigene Wahrheit zu akzeptieren, hatte ich mich selbst verloren. Ich war nicht mehr bei mir.

Eine Stunde später ging ich ins Cortijo und packte meine Sachen und schmiss sie einfach in den Bus. Eine weitere Stunde verging in der ich mich fragte ob ich das Richtige mache. Was ist das Richtige?

Gegen 7 Uhr drehte ich den Zündschlüssel um und fuhr los. Ich verließ ohne ein Wort den so geliebten Ort mit den so geliebten Menschen und Tieren, weil ich es nicht mehr ertragen habe. Diese Unehrlichkeit, diese Lügen und Selbstbetrug. Diese Eifersucht, Ungewissheit und am Ende die Liebe zu ihm deren Erwiderung zwar echt ist aber abhängig von jeder einzelnen Situation.

Ich fuhr ans Meer und starrte zwei Stunden in die Ferne. Claudia rief mich an und ich erzählte ihr was geschehen ist. Wir beschlossen, dass ich erstmal zu ihr komme. Hier kenne ich mich etwas aus. Hier bin ich nicht allein.

Gegen 11 Uhr fiel es in der Familie auf, dass ich verschwunden war. Er fragte warum und verstand es. Sie fragte mich was passiert ist. Ich sagte ihr, sie solle ihren Mann fragen. Ein bisschen später bekam ich von ihr die Antwort, dass es ihr leid tut und sie es verstehen kann. Wenn ich mal einen Freund brauche, dann ist sie da.

Er hatte ihr gesagt, dass ich mich in ihn verliebt habe und er nichts dagegen unternommen hat. Mehr nicht.

Das war zuviel und ich habe ihr die ganze Wahrheit gesagt. Alles. Und anstatt mich zu beschimpfen oder auszuflippen hat sie mir geglaubt und weitere Fragen gestellt und sich am Ende für meine Ehrlichkeit bedankt. Es hat dazu geführt, dass die beiden ausgiebig und ehrlich miteinander gesprochen haben. Sie haben beide gesagt, dass sie so noch nie miteinander gesprochen haben. Er hat dann doch alles zugegeben und ihr von den Gefühlen zu mir erzählt und was das mit mir für ihn ist.

Und ich? Ich schaue auf das Meer. Denke an die vielen schönen Momente in den letzten drei Monaten und will mir nicht eingestehen, dass es vorbei ist. Ich vermisse das alles so. Ich vermisse die Berge. Ich vermisse die Tiere. Ich vermisse die vielen herzlichen Menschen und natürlich vermisse ich ihn unfassbar. Das alles nicht mehr zu haben zerreißt mir das Herz. Das alles hinter mir zu lassen weil ich es emotional nicht mehr ertragen kann. Weil ich nicht mehr ich war. Ich bin im Kopf völlig kraftlos. Kann nicht mehr denken. Was soll ich jetzt tun? Wo soll ich hin? Wie geht es weiter?

Gestern hat ER sich gemeldet. Es geht ihm genauso schlecht wie mir. Kaum Schlaf, kein Essen aber er ist erleichtert, dass die Wahrheit jetzt raus ist. Aber es ist sehr schwer für ihn.

So wie seine Frau es tatsächlich auch angeboten hat, biete ich ihm an zurück zu kommen um zu reden. Offen und ehrlich. Alle drei. Er will, dass ich zurückkomme. Es wird schwer aber es ist gut um alles zu verstehen.

In drei Tagen fahre ich zurück an diesen, von mir zu geliebten Ort. Was wird mich da erwarten?

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